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2.4. Funktionelle Gruppen & Reaktivitäten

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2.4. Funktionelle Gruppen & Reaktivitäten

2.4.1. Funktionelle Gruppen

                              

Funktionelle Gruppen = bestimmen überwiegend die chemischen und physikalischen Eigenschaften einer Verbindung.

Der Begriff funktionelle Gruppen lässt sich einteilen in Atomgruppierungen mit...

... Heteroatomen

Als funktionelle Gruppen können Atomgruppierungen bezeichnen, die in der Regel sogenannte Heteroatome beinhalten wie z.B. O, N, S, P, etc.. 

... ohne Heteroatome

Als funktionelle Gruppen können auch Atomgruppierungen mit Mehrfachbindungen bezeichnet werden wie z.B. C=C - Doppelbindungen oder C ≡ C - Dreifachbindungen.

Die nachfolgende Tabelle führt einige wichtige Vertreter funktioneller Gruppen, nach absteigender Priorität der IUPAC-Nomenklatur auf.

                              

Verbindungsklasse

Formel

      

Carbonsäuren

      

Peroxycarbonsäuren

      

Sulfonsäuren

      

Carbonyäureanhydride

      

Ester

      

Carbonsäurehalogenide

      

Carbonsäureamide

Nitrile

      

Aldehyde

      

Ketone

Alkohole

      
      
      

Phenole

Amine

      

Ether

Alkine

      

Alkene

Halogenwasserstoffe*

      

Nitroverbindungen*

Alkane**

R: Kohlenwasserstoff-Reste
X: Halogene (F, Cl, Br, I)
*Diesen funktionellen Gruppen kann keine Priorität zugeordnet werden. Sie werden nur als Vorsilben (Präfixe) verwendet.
**Alkane sind keine „funktionelle Gruppe“ im eigentlichen Sinne. Sie sind das Grundgerüst der organischen Chemie und werden deshalb der Vollständigkeit halber hier trotzdem aufgeführt.
                              

2.4.2. Reaktivitäten

                              

Reaktivitäten = Moleküle reagieren unterschiedlich mit anderen Molekülen. Ihre Reaktions"freudigkeit" oder Reaktivität ist auf ihre Stabilität zurückzuführen. 

Um Stabilitäten verschiedener Grupppen erklären zu können, müssen verschiedene Effekte betrachtet werden.
Man unterscheidet bei diesen Effekten zwischen elektronischen und sterischen Effekten.

             

2.4.2.1. Elektronische Effekte

              

Elektronische Effekte teilen sich in zwei Gruppen auf:
  • Induktive Effekte
  • Mesomere Effekte

                              

2.4.2.1.1. Induktive Effekte

Induktive Effekte werden durch Elektronegativitätsunterschiede zwischen Atomen oder Atomgruppen in einem Molekül ausgelöst. Man unterscheidet zwischen negativen induktiven Effekten (-I-Effekten) und positiven induktiven Effekten (+I-Effekten).

                 

2.4.2.1.1.1. -I-Effekt (negativer induktiver Effekt)

Ein Atom, mit einer hohen Elektronegativität übt einen -I-Effekt aus. Es zieht Elektronendichte von einem benachbarten Atom ab, wobei sich dessen Elektronendichte verringert. Das Atom trägt jetzt eine negative Partialladung, welche durch „δ-“ gekennzeichnet wird. Das Nachbaratom wird positiv polarisiert und trägt eine positive Partialladung („δ+“).

Die Stärke des -I-Effektes wird durch die Elektronegativität des Substituenten bestimmt. Je elektronegativer ein Substituent ist, desto mehr Elektronendichte zieht er zu sich.
Dieser Effekt lässt sich gut an den Halogenen zeigen: Die Stärke des -I-Effektes sinkt der Reihe nach von Fluor zu Iod.

         
Beispiele für Substituenten oder Gruppen, die einen negativen induktiven Effekt ausüben:
(„R“ steht hierbei für einen Alkyl-, Alkenyl- oder Arylrest.)
                             

2.4.2.1.1.2. +I-Effekt (positiver induktiver Effekt)

Negativ geladene oder wenig elektronegative Atome oder Atomgruppen üben einen +I-Effekt aus. Sie „schieben“ Elektronendichte auf Nachbaratome.

                  
Beispiele für Teilchen, die einen positiven induktiven Effekt ausüben:
(„R“ steht hierbei für einen Alkyl-, Alkenyl- oder Arylrest.)
                    

2.4.2.1.1.3. Atome ohne induktiven Effekt

Wasserstoffatome (H) üben keinen induktiven Effekt aus.

    

2.4.2.1.1.4. Polaritäten & Stabilitäten

Durch induktive Effekte entstehen Polaritäten innerhalb eines Moleküls. Dadurch kann vorausgesagt werden, an welchem Atom eines Moleküls ein Nukleophil angreifen wird.
Außerdem können durch dieses Konzept auch Rückschlüsse auf die Stabilität einer Ladung oder eines Radikals gezogen werden.

      

2.4.2.1.1.5. Auswirkungen auf die Säurestärke

Induktive Effekte haben auch Einfluss auf die Säurestärke eines Moleküls. Durch Anbringen einer elektronegativen Gruppe mit einem -I-Effekt wird die konjugierte Base stabilisiert und somit das Gleichgewicht zur deprotonierten Spezies hin verschoben. Der pKs-Wert der Säure sinkt. Umgekehrt führt das Anbringen eines Substituenten mit +I-Effekt zu einer geringeren Säurestärke, da elektronenschiebene Substituenten eine negative Ladung destabilisieren.

              
Beispielsweise besitzt Trifluoressigsäure einen pKS-Wert von 0,23[1] und Trichloressigsäure einen Wert von 0,65[2]  während „normale“ Essigsäure einen pKS-Wert von 4,76[1] aufweist. Durch den starken -I-Effekt der Fluoratome wird die nach der Deprotonierung resultierende negative Ladung stabilisiert, weshalb die Säurestärke im Vergleich zu „normaler“ Essigsäure steigt und somit der pKS-Wert fällt. Bei Trichloressigsäure kommt es zum gleichen Effekt, allerdings in leicht geschwächter Form, da Chlor eine niedrigere Elektronegativität als Fluor besitzt und damit auch einen schwächeren -I-Effekt aufweist.
           

2.4.2.1.2. Mesomere Effekte

Neben induktiven Effekte können auch mesomere Effekte in Molekülen auftreten.
Diese treten bei konjugierten Systemen auf. Zwei Mehrfachbindungen sind miteinander konjugiert, wenn sie durch genau eine Bindung voneinander getrennt sind. Die p-Orbitale beider Bindungen können über diese Bindung miteinander wechselwirken. Die Elektronen konjugierter Bindungen sind über alle beteiligten Atome des konjugierten Systems delokalisiert.

Hinweis: Hier sind nur die freien pZ-Orbitale eingezeichnet, die SP2-Hybridorbitale wurden aus Übersichtlichkeit nicht mit dargestellt.

In der Lewis-Schreibweise kann man dies durch mesomere Grenzformeln visualisieren. Hierfür „klappt“ man die Elektronen von Mehrfachbindungen oder freien Elektronenpaaren zur jeweils nächsten Mehrfachbindung, wodurch es zu zwitterionischen Grenzformeln kommt.

Auch bei mesomeren Effekten unterscheidet man zwischen negativen mesomeren Effekten (-M-Effekt) und positiven mesomeren Effekten (+-M-Effekt).

                              

2.4.2.1.2.1. +M-Effekt (positiver mesomerer Effekt)

Falls ein Substituent ein freies Elektronenpaar besitzt, welches er für Mesomerie zur Verfügung stellen könnte, so besitzt er einen positiven Mesomeren Effekt (+M-Effekt). Damit fügt er Elektronendichte zu einem konjugierten System hinzu.

Beispiel: +M-Effekt der Methoxygruppe in 1-Methoxybuta-1,3-dien
Beispiele für Substituenten mit positivem mesomeren Effekt:
            
                
            
                                 
          
(„R“ steht hierbei für einen Alkyl-, Alkenyl- oder Arylrest.)
                                

2.4.2.1.2.2. -M-Effekt (negativer mesomerer Effekt)

Substituenten mit negativem mesomerem Effekt (-M-Effekt) besitzen eine Doppel- oder Dreifachbindung und können somit dem konjugierten System Elektronendichte entziehen.

                        
Beispiel: -M-Effekt der Carbonylgruppe von Acrolein (Prop-2-enal)
                     
Beispiele für Substituenten mit negativem mesomeren Effekt:
                   
                        
                   
(„R“ steht hierbei für einen Alkyl-, Alkenyl- oder Arylrest.)
                  

2.4.2.1.2.3. Polaritäten & Stabilitäten

Mesomere Effekte beeinflussen die Stabilitäten von Ladungen in gleicher Weise wie induktive Effekte. Jedoch sind mesomere Effekte stärker.

                        

2.4.2.1.2.4. Auswirkungen auf die Säurestärke

Substituenten mit -M-Effekt erhöhen die Säurestärke, da sie das entstehende Anion stabilisieren. Substituenten, die einen +M-Effekt ausüben erniedrigen die Säurestärke aber erhöhen die Basenstärke eines Moleküls.

                
Zum Beispiel besitzt Phenol bei 25 °C einen pKS-Wert von 9,9[3]. Durch Anbringen von drei Nitrogruppen (in den ortho- und der para-Position) erhält man Pikrinsäure. Diese besitzt einen pKS-Wert von 0,4[3]. Die drei Nitrogruppen üben einen negativen mesomeren Effekt aus. Dadurch wird die nach der Deprotonierung entstehende negative Ladung am Sauerstoffatom stabilisiert, was Pikrinsäure zu einer viel stärkeren Säure als Phenol macht
                        

2.4.2.2. Sterische Effekte

Der Einfluss von sterisch anspruchsvollen Resten auf Reaktionen wird oft als sterische Hinderung bezeichnet. Bei der Verwendung von sterisch anspruchsvollen Resten kommt es vor, dass Reaktionen nur sehr langsam oder gar nicht ablaufen. Ein hierfür bekanntes Beispiel ist die Grignard-Reaktion von Di-tert-butylketon.

Grignard-Reaktion von Di-tert-butylketon:
                

Dies oben dargestellte Reaktion läuft nicht ab, da das Keton so stark sterisch abgeschirmt ist, dass maximal eine Methylgruppe eingeführt werden kann. Bei der Reaktion mit tert-Butylmagnesiumbromid ist der Übergangszustand energetisch sehr hoch, da die sperrigen Reste sehr nahe aneinanderrücken und es so zu einer elektrostatischen Abstoßung der Elektronenhüllen kommt. Dadurch steigt die Aktivierungsenergie, weshalb die oben gezeigte Reaktion unter normalen Bedingungen nicht ablaufen kann.

Dieser Effekt wird beispielweise benutzt, um die Regioselektivität der E2-Eliminierung zu erklären.

                             
                   

Die Saytzeff-Regel besagt, dass das höher substituierte Olefin entsteht, wenn von dem höher Substituierten β-Kohlenstoff ein Proton abstrahiert wird. Diese Doppelbindung ist aufgrund der positiven induktiven Effekte der Alkylreste besser stabilisiert.  Das Produkt wird daher als thermodynamisches Produkt oder Saytzeff-Produkt bezeichnet.

Bei der Reaktion mit sterisch anspruchsvollen Basen, wie z.B. tert-Butanolat, wird das H-Atom vom sterisch weniger gehinderten Kohlenstoffatom abstrahiert. Es entsteht das weniger substituierte Olefin. Es ist kinetisch begünstigt und wird als kinetisches Produkt oder Hofmann-Produkt bezeichnet.

                   
Benutzte Quellen:
  • [1]chem.wisc.edu: pKa Data, Compiled by R. Williams (PDF, 78 kB).
  • [2]Eintrag zu Trichloressigsäure. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 14. Oktober 2014.
  • [3] CRC Handbook of Tables for Organic Compound Identification, Third Edition, 1984, ISBN 0-8493-0303-6.

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