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Soziale Ungleichheit und digitale Medien

Patrizia Breil
Definition - worum geht’s?

Der Einsatz von digitalen Medien im pädagogischen Kontext wird zunehmend vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit thematisiert. Es werden hauptsächlich drei Arten der Ungleichheit unterschieden, die sich aus einem solchen Medieneinsatz ergeben oder darin niederschlagen können.

First-level digital Divide / Digitale Spaltung: Bei der digitalen Spaltung geht es um den Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben uneingeschränkten Zugang zu digitalen Medien oder schnellem Internet.

Second-level digital Divide / Digitale Ungleichheit: Im Kontext digitaler Ungleichheit wird die unterschiedliche Nutzung von digitalen Medien diskutiert. Nicht alle Schülerinnen und Schüler sind es gewohnt, digitale Medien für Bildungszwecke einzusetzen.

Third-level oder Zero-level digital Divide: Bei der digitalen Ungleichheit dritter bzw. nullter Ordnung geht es um die Mechanismen von Algorithmen, die benachteiligend sein können.
Relevanz für die pädagogische Praxis – wo macht’s sich bemerkbar?
Diese möglichen Quellen von sozialer Ungleichheit können im pädagogischen Kontext an verschiedenen Stellen relevant werden: Beim Einsatz digitaler Medien im Unterricht selbst, bei Hausaufgaben, die den Einsatz digitaler Medien beinhalten, oder auch dann, wenn die Kommunikation in der Schule – z.B. über Vertretungspläne, Raumwechsel o.ä. – digital verläuft.
Kinder und Jugendliche, die zuhause keinen Zugang (Ungleichheit erster Ordnung) zu schnellem Internet haben, können manche Aufgaben nicht durchführen oder hinken bei anderen Aufgaben, die einen bestimmten Bearbeitungszeitraum vorsehen, hinterher, weil etwa das Erklärvideo nicht schnell lädt.

Im Unterricht selbst bringen die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Voraussetzungen mit. Manche sind es vielleicht aus ihrem familiären Kontext gewohnt, digitale Medien zu Bildungszwecken einzusetzen und Nachrichten online zu beziehen oder Informationen zu recherchieren. Andere Schülerinnen und Schüler nutzen (Ungleichheit zweiter Ordnung) digitale Medien von Haus aus eher zu Unterhaltungszwecken und können deshalb im schulischen Kontext benachteiligt sein, wenn Rechercheaufgaben anstehen.

Die Ungleichheit dritter Ordnung wird bspw. beim Einsatz von adaptiven Lernmanagementsoftwares relevant, wenn die algorithmenbasierten Empfehlungen zur personenbezogenen Förderung unreflektiert übernommen werden. Vor diesem Hintergrund wurde bspw. diskutiert, dass Algorithmen mitunter rassistisch und/oder klassistisch sind: Diejenigen Schülerinnen und Schüler einer bestimmten ethnischen oder sozialen Herkunft erreichen statistisch gesehen bislang weniger oft hohe Bildungsabschlüsse. Dieser statistische Sachverhalt kann dazu führen, dass auf die Förderung dieser Personengruppen von der Software weniger Wert gelegt wird, weil eine Förderung statistisch weniger oft zielführend ist. Damit werden bestehende Diskriminierungen verfestigt und ungerechterweise reproduziert. Lehrpersonen sollten daher bestenfalls wissen, auf Basis welcher Kriterien die eingesetzten adaptiven Anwendungen ihre Empfehlungen aussprechen.
Eingang in die pädagogische Praxis – wie kann’s in den Unterricht eingebunden werden?

Ein Vorgehen gegen die Ungleichheit erster Ordnung erfordert großflächige, infrastrukturelle und politische Maßnahmen, die die Ausstattung von Schulen und Familien ebenso zum Ziel haben wie die Sicherung einer flächendeckenden, schnellen Internetverbindung.

Die einzelne Lehrperson sollte zunächst soweit möglich einen Überblick darüber haben, welche Zugangsmöglichkeiten den Schülerinnen und Schüler zu digitalen Medien in deren privater Lebenswelt gegeben sind und wie in etwa deren Mediennutzungsverhalten (Ungleichheit zweiter Ordnung) aussieht. Eine diesbezügliche Sensibilisierung kann als Basis für eine gezielte Medienkompetenzförderung dienen, die darauf zielt, den Schülerinnen und Schülern die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, digitale Medien reflexiv und aktiv für die eigene Lebensgestaltung – auch in Bildungskontexten – einzusetzen.

Im Kontext der Ungleichheit dritter Ordnung sollten Schulen und Lehrpersonen nach Möglichkeit schuleigene Plattformen oder im Allgemeinen solche verwenden, die hinsichtlich der Verwendung der erhobenen Daten und deren Auswertung transparent und variabel sind.
Beispiele

Die JIM- und KIM-Studien untersuchen den Medienumgang von Jugendlichen und Kindern. Die Ergebnisse sind frei zugänglich und demonstrieren in eindrücklichen Grafiken, dass sich die Zugangsbedingungen zu digitalen Medien in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert haben. Wie und wozu digitale Medien genutzt werden, ist dabei abhängig vom bildungsbiografischen Hintergrund der Kinder und Jugendlichen.
Weitere Informationen zu Fragen sozialer Ungleichheit, die sich im Kontext der schulischen Nutzung von digitalen Medien stellen, finden sich außerdem im folgenden Video. 
Literatur - Evidenz

Feierabend, S., Rathgeb, T., Kheredmand, H., & Glöckler, S. (2020). JIM 2020. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf.

Kersting, N. (2020). Digitale Ungleichheiten und digitale Spaltung. In T. Klenk, F. Nullmeier, & G. Wewer (Hrsg.), Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung (S. 1-11). Wiesbaden: Springer.  

Kutscher, N., & Iske, S. (2021). Diskussionsfelder der Medienpädagogik: Medien und soziale Ungleichheit. In U. Sander, F. von Gross, & K.-U. Hugger (Hg.), Handbuch Medienpädagogik (S. 1–12). Wiesbaden: Springer. 

Niesyto, H. (2010). Kritische Anmerkungen zu Theorien der Mediennutzung und -sozialisation. In D. Hoffmann, & L. Mikos (Hrsg.), Mediensozialisationstheorien. Modelle und Ansätze in der Diskussion (S. 47–66). Wiesbaden: Springer.

Zitiervorschlag:

Breil, P. (2022, März). Ungleichheit und Digitale Medien. In Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) (Hrsg.), Evidenzbasierte Hinweise zum Einsatz digitaler Medien im Lehr-Lernkontext.
Inhaltlich aktualisiert am 19.05.2020

Dernière édition: 14. sept. 2022, 16:26, [j.kemmler]