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Machtstrukturen und Digitale Medien

Patrizia Breil
Definition - worum geht’s?

Die Überwachung des Lernprozesses ist im pädagogischen Kontext meist an die Rolle der Lehrkraft geknüpft. Mit digitalen Medien kann diese Funktion aber zunehmend ausgelagert werden, sodass die Schüler:innen vermehrt von digitalen Systemen überwacht werden.

Ein Online-Quiz, das in einem öffentlichen Ranking mündet, sammelt aber nicht nur personenbezogene Daten von den Schüler:innen, sondern präsentiert deren Leistung auch öffentlich ihren Mitschüler:innen.

Zwar eröffnet eine solche Überwachung die Möglichkeit, positiv in den Lernprozess einzugreifen und z.B. adaptive und personalisierte Unterrichtsprozesse zu realisieren, gleichzeitig kann eine solche Praxis aber unter dem Stichwort der datengestützten Überwachung (Dataveillance) diskutiert werden. Derartige Überwachungsstrukturen sind dabei immer mit gewissen Macht- und Sichtstrukturen verbunden, die die Dynamik in Schule und Unterricht maßgeblich beeinflussen können.
Relevanz für die pädagogische Praxis – wo macht’s sich bemerkbar?
Mit digitalen Medien stehen immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung, den Lernprozess von Schüler:innen minutiös nachzuverfolgen. Das ist zum Beispiel dann möglich, wenn von Lernmanagementsoftwares oder intelligenten Tutorsystemen gespeichert wird, welche Schüler:innen wann welche Aufgaben bearbeitet, wie lange sie gebraucht haben und wie erfolgreich sie dabei waren. Neben den Chancen zur Effizienzsteigerung von Lehr-Lernprozessen sind mit solchen Einsatzszenarien aber auch eine Reihe ethischer Herausforderungen verbunden.

Von technischer Seite aus stellt sich z.B. die datenschutzrechtliche Frage, wo der Server der jeweiligen Anwendungen liegt, wo also die gesammelten Daten gespeichert und wie sie weiterverarbeitet werden. Oft sind Anwendungen hier nicht transparent, sodass im pädagogischen Kontext nach Möglichkeit auf schuleigene Anwendungen zurückgegriffen werden sollte.

Auf individueller Ebene kann diskutiert werden, welche Auswirkungen es auf das Individuum hat, während des gesamten Lernprozesses beobachtbar zu sein, teils über die erhobenen Daten der Anwendung, teils aber auch direkt von Lehrkraft und Mitschüler:innen, wenn Aufgaben auf einer geteilten Klassenplattform abgelegt werden. Die ständige Überwachung kann introjiziert werden und so zu erheblichem Druck auf die Schüler:innen führen.
Eingang in die pädagogische Praxis – wie kann’s in den Unterricht eingebunden werden? 

Die groß angelegte Datenerhebung im pädagogischen Kontext spielt vor allem für Learning Analytics und Educational Data Mining eine Rolle. Im Fokus von Learning Analytics steht die Datenauswertung mit dem Ziel, den Lernprozess von Schüler:innen besser zu verstehen und innerhalb dessen Handlungsräume aufzuzeigen. Demgegenüber sind Techniken des Educational Data Minings eher an dem Ergebnis des Lernprozesses interessiert und leiten Handlungsempfehlungen ab, die z.B. dazu führen sollen, dass mehr Schüler:innen ihren Abschluss schaffen sollen.

Für Lehrkräfte spielt die Datenerhebung insofern konkret eine Rolle, als sie nachvollziehen können müssen, was mit den erhobenen Daten rechtlich geschieht. Um sinnvolle Entscheidungen auf Grundlage der Daten zu treffen, müssen Lehrkräfte in der Lage sein, die Daten richtig zu interpretieren. Das setzt ein prinzipielles Verständnis der zugrundeliegenden Algorithmen voraus.

Bei der Nutzung digitaler Softwares muss darauf geachtet werden, den Schüler:innen genügend Freiräume für Kreativität zu geben, d.h. auch solche Lernprozesse zuzulassen, die von den verwendeten Softwares ggf. nicht vorgesehen werden. Denn: Keine Software ist bisher in der Lage, die Komplexität eines Lernprozesses eines Individuums in seiner Biografie und seiner sozialen Umgebung zu berücksichtigen. Die Rolle der Lehrkraft ist hier essenziell.
Beispiele

Über das Projekt Coveryourtracks der Electronic Frontier Foundation kann der eigene digitale Fingerabdruck im Netz ermittelt werden.

Das folgende Video zeigt, inwiefern der tägliche Gebrauch von digitalen Medien unweigerlich mit der Sammlung digitaler Spurendaten einhergeht:
Beim Diskurs um digitale Spurendaten bezieht man sich in der Forschung häufig auf den Gefängnisentwurf des ‚Panoptikums‘. Was es damit auf sich hat, wird in folgendem Video näher erläutert. 
Literatur - Evidenz

Hakimi, L., Eynon, R., & Murphy, V. A. (2021). The Ethics of Using Digital Trace Data in Education: A Thematic Review of the Research Landscape. Review of Educational Research, 1–47. DOI: 10.3102/00346543211020116.

Jornitz, S., & Macgilchrist, F. (2021). Datafizierte Sichtbarkeiten. Vom Panopticon zum Panspectron in der schulischen Praxis. Medienpädagogik 45, 98–122.

Waldmann, M., & Walgenbach, K. (2020). Digitalisierung der Hochschulbildung – eine kritische Analyse von Learning-Analytics-Architekturen am Beispiel von Dashboards. Zeitschrift für Pädagogik 66(3), 357–372.


Zitiervorschlag:

Breil, P. (2022, März). Machtstrukturen und Digitale Medien. In Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) (Hrsg.), Evidenzbasierte Hinweise zum Einsatz digitaler Medien im Lehr-Lernkontext.
Inhaltlich aktualisiert am 19.05.2020

Dernière édition: 14. sept. 2022, 16:30, [j.kemmler]