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Lesen und Schreiben am Bildschirm

Thérése Eder und Kathrina Scheiter
Definition - worum geht’s?

Lesen und Schreiben spielen im Kontext von Unterricht eine zentrale Rolle. Lesen ist neben der Rezeption audiovisueller Medien eine zentrale Methode, mit der sich Schülerinnen und Schüler fachliches Wissen erschließen. Schreiben dient der Konsolidierung der Unterrichtsinhalte durch das Anfertigen von Notizen und Mitschriften und ist darüber hinaus Bestandteil vieler schulischer Aufgabenstellungen (z.B. Essays schreiben, Begründungen für Lösungswege dokumentieren). Wie wirkt sich die Verlagerung dieser Prozesse auf ein digitales Medium wie z.B. einen Tabletcomputer aus? Um diese Frage für das Lesen zu beantworten, ist es wichtig, den Geltungsbereich der Aussagen etwas weiter einzugrenzen. Erklärende fachliche Texte z.B in (digitalen) Schulbüchern beinhalten heutzutage eine Vielzahl unterschiedlicher Darstellungsformen zusätzlich zum Text (z.B. Tabellen, Diagramme, Bilder, Animationen). Diese multimedialen Lernmaterialien können den Verstehensprozess sehr gut unterstützen - im Vergleich zu einer reinen textuellen Darstellung. Es geht im Folgenden nicht um solche multimedialen Angebote, sondern um das Lesen längerer, erklärender Texte, die weitestgehend ohne andere, bildhafte Darstellungsformate bereitgestellt werden.
Gelingensbedingungen für den erfolgreichen Einsatz - wann funktioniert’s und wann nicht?
   
Lesen
     Wie sollen Schülerinnen und Schüler lesen – digital oder auf Papier? Mehrere Überblickstudien untersuchten, wie das Lesemedium (Bildschirm vs. Papier) die Leseleistung beeinflusst. Delgado et al. (2018) fassten die Ergebnisse von 45 Studien mit 171055 Teilnehmenden zusammen, in denen verglichen wurde, wie die Teilnehmenden Texte auf Papier oder auf einem digitalen Gerät lasen. Weitere Überblicksstudien verglichen auch die Leseleistung und Lesegeschwindigkeit zwischen den Lesemedien Papier und Bildschirm. Kong et al. (2018) fassten die Ergebnisse von 17 Studien mit 4831 Teilnehmenden und Clinton (2019) die Ergebnisse von 33 Studien mit 2799 Teilnehmenden zusammen.
     Dabei zeigt sich als robuster Effekt, dass Lesende die Texte besser verstanden, wenn sie diese auf Papier und nicht am Bildschirm lasen (Delgado et al., 2018; Kong et al., 2018; Clinton, 2019). Die Lesebedingungen unterschieden sich dabei nur durch das Medium (Papier vs. Bildschirm), Inhalt und Darstellung der Texte waren in beiden Bedingungen identisch. Bei einer begrenzen Lesezeit verstärkt sich der Vorteil des Lesens auf Papier (Delgado et al., 2018). Die generelle Lesefähigkeit der Kinder (10-13 Jahre) scheint eine weitere Rolle zu spielen. Während Kinder mit geringeren Lesefähigkeiten den Text besser verstanden, wenn sie ihn (unter Zeitdruck) auf Papier gedruckt lasen, gab es bei Kindern mit hohen Lesefähigkeiten keine negativen Effekte beim Lesen am Bildschirm (Salmerón et al., 2021). Individuelle Voraussetzungen, wie die Lesefähigkeit, wirken sich demnach auf das Verständnis beim Lesen am Bildschirm vs. Papier aus.
     Eine erste Vermutung könnte seine, dass die negativen Effekte beim Lesen vom Bildschirm durch mangelnde Erfahrung mit dem Lesen am Bildschirm entstehen (Kong et al., 2018). Jedoch konnten Delgado et al. (2018) in ihrer Überblicksstudie keine Belege dafür finden. Eine weitere mögliche Erklärung geht davon aus, dass wir das jeweilige Medium mit einer bestimmten Textschwierigkeit assoziieren. Während digitale Medien häufig für das Lesen kurzer Texte oder Sätze verwendet werden (z.B. in Messenger Diensten oder bei Kurznachrichten), werden lange und kompliziertere Texte meistens auf Papier gelesen. Lesende könnten also vermuten, dass digitale Texte leichter zu verstehen sind. Diese Erklärung wird gestützt durch Ergebnisse, die zeigen, dass Lesende ihr Verstehen des Textes eher überschätzen, wenn sie digitale Texte lesen (Clinton, 2019). Zudem schweifen Lesende mit ihren Gedanken beim Lesen am Bildschirm häufiger ab. Sie sind also weniger konzentriert als wenn sie gedruckte Texte lesen.
     Daher ist es sinnvoll, sehr komplexe und lange Texte zum Lesen auf Papier anzubieten oder sicher zu stellen, dass Texte am Bildschirm fokussiert gelesen werden. Ein fokussiertes Lesen kann z.B. durch unterstützende (digitale) Methoden verbessert werden. Eine effektive Methode, um den negativen Effekt beim Lesen am Bildschirm zu reduzieren, ist das Erstellen von Stichwörtern zum Text (Lauterman & Ackerman, 2014). Zudem kann es hilfreich sein, am Bildschirm zu lesende Texte als wichtig darzustellen, um eine hinreichende Verarbeitung der Texte sicherzustellen (Sidi et al., 2017). Weiterhin können Lesende digitale Texte anreichern, indem sie diese beispielsweise annotieren oder mit anderen Informationsquellen verknüpfen. Dabei ersetzt das digitale Medium nicht nur das analoge Medium wie in den oben beschriebenen Studien, sondern bietet erweiterte Funktionalitäten, die eine tiefere Verarbeitung des Textes anregen können (vgl. Puentedura, 2006). Durch solche angereicherten Texte kann daher das Leseverständnis und die Motivation verbessert werden (Stavanger Declaration, 2018). Besonders bei Leserinnen und Lesern in der Mittelstufe führt die Nutzung solcher digitalen Werkzeuge zu einem verbesserten Leseverständnis (Moran et al., 2008). Wenn Texte digital gelesen werden, sollten also die Potenziale digitaler Medien zur Anreicherung und weiteren Unterstützung des Leseprozesses ausgeschöpft werden.

Vorlesen
     Auch beim Vorlesen zeigen sich Auswirkungen digitaler Medien. Furenes et al. (2021) fassten die Ergebnisse aus I 39 Studien mit 1812 Kindern im Alter von eins bis acht Jahren zusammen, in denen das Vorlesen von Büchern durch Erwachsene mit dem automatischen Vorlesen durch ein digitales Gerät verglichen wurde. Zwar verstanden die Kinder die Texte besser, wenn sie durch eine Person vorgelesen wurden. Allerdings verschwanden die negativen Auswirkungen des digitalen Mediums, wenn weitere digitale Funktionalitäten zum Einsatz kamen (z.B. wenn ein digitales Leseprogramm durch zusätzliche Fragen das Hintergrundwissen aktivierte oder mit Hyperlinks zusätzliche Erklärungen zu den Geschehnissen im Text bereitstellte). Ebenso verbesserte sich der Wortschatz der Kinder stärker, wenn sie ein digitales Medium zum Vorlesen eines Sachbuches verwendeten, als wenn die Erwachsenen das Sachbuch vorlasen. Der Wortschatz wurde besonders gefördert, wenn die digitalen Bücher ein Wörterbuch enthielten und zentrale Begriffe durch digitale Unterstützung adressiert wurden.

Schreiben
     Für das Schreiben am Computer zeigt eine Überblicksstudie, dass insbesondere beim Erwerb von Schreibkompetenzen handschriftliches Schreiben positive Effekte gegenüber dem Schreiben am Computer hat (Wollscheid et al., 2016). Wollscheid et al. (2016) fassten dabei 10 Studien zusammen, die verglichen wie Kinder aus Vor- und Grundschule Schreiben von Hand oder am Computer lernten. Dieser anfängliche Vorteil handschriftlichen Schreibens verschwindet jedoch mit zunehmender Schreiberfahrung. Graham und Perin (2007) zeigten in ihrer Überblicksstudie mit 123 Studien, dass Jugendliche vom Schreiben am Computer profitieren können. Das Schreiben am Computer mit Texteditoren (z.B. Word, OpenOffice) bietet diverse technische Funktionalitäten, die das Schreiben unterstützen können. Es wird eine automatische Überprüfung der Rechtschreibung und Grammatik mit entsprechenden Korrekturempfehlungen angeboten, digitale Texte können einfach und schnell überarbeitet werden und es gibt zusätzlich eine Reihe von Layoutoptionen, die die Textstruktur sichtbar machen. Die Nutzung solcher Texteditoren wirkt sich auch positiv auf die Schreibkompetenzen auch bei jüngeren Schülerinnen und Schülern aus. Zudem bieten aktuelle Editoren die Möglichkeit, kollaborativ an Texten zu arbeiten. Die Externalisierung des Wissens wird also vielfältig unterstützt.
     Wie aber sieht es mit der Internalisierung des Wissens aus? Welche Auswirkungen hat das Schreiben am Computer darauf, wie gut wir uns Inhalte merken können? Mueller und Oppenheimer (2014) konnten in drei Studien mit Studierenden zeigen, dass diese konzeptuellen Fragen zu den Inhalten einer videobasierten Online-Vorlesung schlechter beantworten konnten, nachdem sie ihre Notizen zur Vorlesung am Laptop und nicht handschriftlich angefertigt hatten. Allerdings zeigten sich nur schwache Unterschiede, die in anderen Studien nicht wiederholt gezeigt werden konnten (Morehead, Dunlosky, & Rawson, 2019). Inwieweit diese Ergebnisse auch für Präsenzvorlesungen bzw. für den schulischen Unterricht gültig sind, ist noch nicht geklärt.
     Erklärungen für die möglichen Nachteile computerbasierter Notizen bestehen zum einen darin, dass Lernende während der Vorlesung durch die Nutzung eines Laptops auch Zugriff auf nicht-vorlesungsbezogene digitale Inhalte (Social Media-Anwendungen, Email etc.) erhalten, die ablenkend wirken können (Ravizza et al., 2017). Zum anderen verzichten Lernende möglicherweise auf die Revision ihrer digitalen Notizen - d.h. sie prüfen diese nicht auf Vollständigkeit und Richtigkeit, machen keine Ergänzungen, Hervorhebungen und Restrukturierungen etc.. Gerade solche Revisionen haben sich in Untersuchungen zur Lernförderlichkeit von Notizen jedoch als nützlich erwiesen (Luo e al., 2016).
      Grundsätzlich sollten Schülerinnen und Schüler angeregt werden, Notizen anzufertigen und diese aber auch zu revidieren. Wird ein digitales Gerät während des Unterrichts auch für Notizen genutzt, müssen klare Regeln für dessen unterrichtsbezogene Nutzung vereinbart werden. Gezielte Notizen-bezogene Aufgabenstellungen (z.B. kollaborative Diskussion und Aufbereitung mit einem Lernpartner) können eine vertiefte (Weiter-)Verarbeitung der Notizen anregen und so ihren Nutzen steigern (Luo et al., 2016).
Literatur - Evidenz

Clinton, V. (2019). Reading from paper compared to screens: A systematic review and meta‐analysis. Journal of Research in Reading, 42(2), 288-325. https://doi.org/10.1111/1467-9817.12269

Delgado, P., Vargas, C., Ackerman, R., & Salmerón, L. (2018). Don't throw away your printed books: A meta-analysis on the effects of reading media on reading comprehension. Educational Research Review, 25, 23-38. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2018.09.003

Furenes, M. I., Kucirkova, N., & Bus, A. G. (2021). A comparison of children’s reading on paper versus screen: A meta-analysis. Review of Educational Research, 91(4), 483-517. https://doi.org/10.3102/0034654321998074

Graham, S., & Perin, D. (2007). A meta-analysis of writing instruction for adolescent students. Journal of educational psychology, 99(3), 445.

Kong, Y., Seo, Y. S., & Zhai, L. (2018). Comparison of reading performance on screen and on paper: A meta-analysis. Computers & Education,
123, 138-149. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2018.05.005

Lauterman, T., & Ackerman, R. (2014). Overcoming screen inferiority in learning and calibration. Computers in Human Behavior, 35, 455-463. https://doi.org/10.1016/j.chb.2014.02.046

Luo, L., Kiewra, K. A. & Samuelson, L. (2016). Revising lecture notes: how revision, pauses, and partners affect note taking and achievement. Instructional Science, 44, 45–67. https://doi.org/10.1007/s11251-016-9370-4

Moran, J., Ferdig, R. E., Pearson, P. D., Wardrop, J., & Blomeyer Jr, R. L. (2008). Technology and reading performance in the middle-school grades: A meta-analysis with recommendations for policy and practice. Journal of Literacy Research, 40(1), 6-58. https://doi.org/10.1080/10862960802070483

Mueller, P. A. & Oppenheimer, D. M. (2014). The pen Is mightier than the keyboard: Advantages of longhand over laptop note taking. Psychological Science, 25, 1159-1168. https://doi.org/10.1177/0956797614524581

Puentedura, R. (2006). Transformation, technology, and education [Blog post]. Retrieved from http://hippasus.com/resources/tte/.

Ravizza, S. M., Uitvlugt, M. G., & Fenn, K. M. (2017). Logged in and zoned out: How laptop Internet use relates to classroom learning. Psychological Science, 28, 171–180. https://doi.org/10.1177/0956797616677314

Salmerón, L., Delgado, P., Vargas, C., & Gil, L. (2021). Tablets for all? Testing the screen inferiority effect with upper primary school students. Learning and Individual Differences, 86, Article 101975.

Sidi, Y., Shpigelman, M., Zalmanov, H., & Ackerman, R. (2017). Understanding metacognitive inferiority on screen by exposing cues for depth of processing. Learning and Instruction, 51, 61-73. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2017.01.002

Stavanger-Erklärung:https://ereadcost.eu/wp-content/uploads/2019/01/StavangerDeclaration.pdf

Wollscheid, S., Sjaastad, J., & Tømte, C. (2016). The impact of digital devices vs. Pen (cil) and paper on primary school students' writing skills–A research review. Computers & Education, 95, 19-35.

Zitiervorschlag:

Eder, T.F. & Scheiter, K. (2022, März). Lesen und Schreiben am Bildschirm. In Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) (Hrsg.),
Evidenzbasierte Hinweise zum Einsatz digitaler Medien im Lehr-Lernkontext.
Inhaltlich aktualisiert am 14.04.2022

Zuletzt geändert: 14. Apr 2022, 14:00, [i.rudolf]