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Gruppenarbeiten mit digitalen Medien

Jürgen Schneider
Definition - worum geht’s?

Das Lernen in Gruppen erweitert die Interaktion zwischen den Lernenden und dem Lerngegenstand zusätzlich um den Austausch zwischen den Gruppenmitgliedern. Es sind somit nicht nur die individuellen, sondern auch die sozialen Lernaktivitäten relevant, die in der Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern stattfinden. Anhand digitaler Medien kann der Wissensaustausch zwischen Lernenden so gestaltet werden, dass eine tiefere Verarbeitung der Lerninhalte ermöglicht wird (z.B. durch eine Schreibdiskussion in einem webbasierten Texteditor). Es geht also um die Qualität von Lernaktivitäten: Wie verarbeiten Schülerinnen und Schüler die Informationen beim Lernen in Gruppen? Dabei können anhand digitaler Medien bestimmte lernförderliche Strategien direkt gefördert oder unterstützt werden. Wenn digitale Medien also gezielt eingesetzt werden (siehe unten Gelingensbedingungen), können sie den Lernertrag in Gruppen steigern. Jenseits der eigenen (individuellen) Voraussetzungen der einzelnen Lernenden, kommt es bei der Qualität der eigenen Lernprozesse auf die Lernaktivitäten der Lernpartner, sowie Merkmale der instruktionalen Unterstützung an. Die Lernaktivitäten der Lernpartnerinnen und -partner können dabei ganz wesentlich durch die Aufgabenstellung (also die instruktionale Unterstützung) geformt werden.
Funktionen für das Lernen  - was wird ermöglicht / unterstützt?

Die Unterstützung von Lernaktivitäten betrifft den Lernprozess selbst. Werden passende Lernaktivitäten der Lernpartner von digitalen Medien ermöglicht oder das Lernen anregend instruktional unterstützt, wird die Qualität des Lernprozesses folglich direkt gefördert. Digitale Medien ermöglichen es Lernprozesse sowohl synchron als auch asynchron zu realisieren. Besonders die Ermöglichung und Unterstützung asynchroner Lernprozesse kann als ein Potential digitaler Tools betrachtet werden. So erlauben digitale Medien Aktivitäten aller Lernpartner permanent verfügbar und deren Entwicklung nachvollziehbar zu machen. Lernenden wird also erleichtert, sich in ihrem Austausch aufeinander zu beziehen.
 
Gelingensbedingungen für den erfolgreichen Einsatz - wann funktioniert’s und wann nicht?
Der Erfolg des Einsatzes digitaler Medien zur Förderung der Wissenskonstruktion in Gruppenarbeiten hängt davon ab, ob es gelingt, gezielt Lernaktivitäten zwischen den Lernpartnern hervorzurufen. Diese müssen (unter Berücksichtigung der Eigenheiten digitalen Lernens in Gruppen) didaktisch in den Arbeitsaufträgen verankert sein und technisch niederschwellig ermöglicht werden. Ein solcher Arbeitsauftrag kann sich auf das gegenseitige Erklären oder die Generierung eigenen Lernmaterials beziehen. Beim Erklären profitiert besonders die erklärende Person selbst und weniger die Person, die eine Erklärung erhält (vgl. Erklärvideos). Niederschwellige technische Lösungen können sowohl mündlich (z.B. Audioaufnahme in Messenger), als auch textlich (z.B. Blog Posts) oder audiovisuell (z.B. Erklärvideos) erfolgen und mit bildlichen Darstellungen ergänzt werden (z.B. google slides, Mindmap, Concept Maps). Mit entsprechenden Rechten ausgestattet, können Lerngruppen in Learning Management Systemen (z.B. Moodle) auch ihre eigenen Lerninhalte generieren und so Inhalte elaborieren. Voraussetzung hierfür ist, dass die Lernenden bereits mit der Lernplattform vertraut sind. Beim gemeinsamen Erstellen von Lerninhalten (z.B. in Wikis) bedingt die geteilte Vorstellung, wie gemeinsam gearbeitet wird (Kollaborationsnorm), wesentlich das Ergebnis. Bevor die Lernenden also mit der Erstellung beginnen, bedarf es eines Austausches darüber, welche Normen für das Zusammenarbeiten gelten. Ebenfalls als ein besonders lernförderlicher Arbeitsauftrag gelten argumentative Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Positionen. Hier stellen die Lernenden anspruchsvolle Überlegungen an, wie die Untersuchung der Haltbarkeit von Behauptungen. Der Lernprozess gelingt dann, wenn digitale Medien es ermöglichen, die Interaktion zwischen den Lernenden (besonders für noch weniger argumentativ erfahrene) zu strukturieren sowie Thesen und Argumente festzuhalten. 

Besonders beim digitalen Lernen können Probleme aus der unterschiedlich intensiven Beteiligung der Lernpartner entstehen. Lernpartner können in Extremfällen entweder die gesamte Arbeit erledigen oder nur sehr wenig zur Bearbeitung der Aufgabe beitragen. Beim Lernen mit digitalen Medien ist ein direktes “über die Schultern schauen” teilweise nicht möglich und somit ist es schwerer den Lernenden zu vermitteln, man habe sie (“allgegenwärtig”) im Blick. So können einzelne Gruppenmitglieder den Eindruck gewinnen, ihre Aktivität (oder Inaktivität) bleibt unbemerkt. Dies tritt besonders auf, wenn sich Lernende darauf verlassen, dass die Aufgabe auch ohne sie erledigt wird (“Trittbrettfahrerphänomen”) oder eine Person unverhältnismäßig viel Arbeit übernimmt. In der Instruktion muss also die gleichmäßige Verteilung von Arbeitsanteilen mitbedacht werden (vgl. Wissensaustausch).
Beispiele

Ein Beispiel ist die gemeinsame Arbeit an einem Projekt, in dem Pro und Contra Standpunkte zu einem kritischen Thema erarbeitet werden. Über die browserbasierte Software Kialo beispielsweise können eine These oder eine Fragestellung erstellt und anschließend Argumente angeführt werden. Die Argumente werden von den Beteiligten auf deren Überzeugungskraft bewertet und möglicherweise nochmals mit Argumenten unterfüttert oder mit Gegenargumenten entkräftet. Über eine Kommentarfunktion können bei Unklarheiten zu jedem Argument Nachfragen gestellt werden. Die gesamte Argumentationsstruktur wird für einen schnellen Überblick visuell durch das Tool dargestellt.

Weitere Informationen zum Thema Kollaboratives Lernen mit digitalen Medien finden sich im Video:
    
     
Tools 

Wikis (z.B. auf Moodle, Ilias)
Webbasierte Texteditoren (z.B. Cryptpad, Etherpad light)
Digitale Pinnwände (z.B. Trello, Padlet)
Blogs (z.B. auf Moodle, Ilias)
Mindmaps (z.B. Mindmeister)
Kialo (Tool zur Unterstützung von Argumentation)
siehe auch Video zum kollaborativem Lernen
Literatur - Evidenz

Chen, J., Wang, M., Kirschner, P. A., & Tsai, C.-C. (2018). The Role of Collaboration, Computer Use, Learning Environments, and Supporting Strategies in CSCL: A Meta-Analysis. Review of Educational Research, 88(6), 799–843. https://doi.org/10.3102/0034654318791584

Wecker, C., & Fischer, F. (2014). Lernen in Gruppen. In T. Seidel & A. Krapp (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 277-296). Weinheim: Beltz.

Zitiervorschlag:

Schneider, J. (2020, April). Gruppenarbeiten mit digitalen Medien. In Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) (Hrsg.), Evidenzbasierte Hinweise zum Einsatz digitaler Medien im Lehr-Lernkontext.
Inhaltlich aktualisiert am 10.05.2020

Zuletzt geändert: 7. Jul 2021, 14:30, [i.rudolf]