"It takes two to tango" - Forscher entdecken den Familienmann

Von Cornelius Metzger

In der Familienforschung sind die Männer das vernachlässigte Geschlecht. Doch langsam beginnt die Wissenschaft, über die Rolle von Vätern in Familien und die Bedeutung von Männern für die Lösung des demografischen Problems zu diskutieren. FRAU weiß berichtet über zwei Wissenschaftler, die sich an der Suche nach dem unbekannten Wesen beteiligen.

Wer ist der neue Vater, der allenthalben gefordert wird? Das Gegenmodell jedenfalls ist schnell beschrieben: Es ist - nach alter Väter Sitte - der Familienernährer. Dem gegenüber stehen heute ganz neue Ansprüche an Väter, ein bisher nur diffus umrissenes, neues Ideal von Vater.
Der neue Vater ist bei der Geburt dabei und er beteiligt sich gleichberechtigt an der Erziehung. Er bringt sich in allen Bereichen der Familie ein und widmet seinen Töchtern genauso viel Aufmerksamkeit wie seinen Söhnen. Klar ist vor allem eines: "Die" Vaterrolle gibt es nicht mehr, die Definition von "Mann" ist in jeder sozialen Gruppe anders.
Dabei war früher alles so einfach! Treffend beschrieben hat das traditionelle Modell der US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons, der bis in die 70er Jahre an der Harvard University lehrte. Bei Parsons ist der Mann ist durch seinen Beruf und durch seine Eigenschaft als Ernährer definiert, die Frau hält ihm den Rücken frei, ist Mutter und regelt den Haushalt. Alle Aufgaben sind deutlich aufgeteilt: Der Mann arbeitet für die Familie, die Frau verwirklicht sich in der Familie. Das Zeugen von Kindern, im besten Fall von Söhnen, ist nach Ansicht des Soziologen zentral für die Selbstdefinition als Mann. Kein Wunder: Zeitschriften, Bücher, Fernseh- und Radiosendungen - alles war zu seiner Zeit voll von Beschreibungen der "guten Mutter". Vom "guten Vater" hat in den 50er und 60er Jahren kaum einer gesprochen.

Männer im Zeugungsstreik?

Dabei beginnt der Einfluss des Vaters schon ausgesprochen früh. Es wird der "Gebärstreik der Frauen" bejammert, und angesichts der "Greisenrepublik" fragt man(n) sich, warum die Frauen bloß nicht mehr Kinder bekommen wollen. Erst seit kurzem rückt auch der Mann in den Mittelpunkt des Interesses. Forscher befassen sich mit der Frage des kinderlosen Mannes und versuchen erstmals, das Ausmaß des Zeugungsstreiks der Männer zu erfassen. "Männer sind wichtige Träger des Geburtenrückgangs", sagt Ilona Ostner, Professorin für Sozialpolitik an der Georg-August-Universität Göttingen und Sprecherin des Graduiertenkollegs "Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells". Sie arbeitet zur Zeit an einer Studie (siehe Box!), die ländervergleichend Männer als Verursacher des Geburtenrückgangs untersucht.
Die statistischen Daten sprechen eine deutliche Sprache. In Deutschland ist der Kinderwunsch bei Männern geringer als bei Frauen: Männer wünschen sich im Durchschnitt 1,3 Kinder, Frauen 1,7. Die Zahl von zwei Kindern pro Familie, die nötig wäre, um den Bevölkerungsstand zu halten, ist also bei Männern noch weniger populär als bei Frauen. "Die als ideal bezeichnete Kinderzahl wird umso geringer, je jünger der Befragte ist", stellt Ostner fest. Außerdem werden Männer immer älter, bevor sie das erste Mal Vater werden. Europaweit zeigt sich dieser Trend, aber, so Ostner: "Deutschland - vor allem der deutsche Mann - scheint Vorreiter dieses Trends zu sein".

Die Väter-Studie

Der Aufsatz "Männer und (ihre) Kinder: Einstellungen zur Elternschaft im Ländervergleich" von Trudie Knijn, Christoph Schmitt und Ilona Ostner erscheint dieses Jahr (2006) in dem von Frank Lettke und Andreas Lange herausgegebenen Band "Generationen, Familien und Gesellschaft. Interdisziplinäre Annäherungen an Spannungsfelder der Gegenwartsgesellschaft. Festschrift für Kurt Lüscher" im Frankfurter Suhrkamp Verlag.

Späte Väter - besonders sicherheitsbewusst?

Warum ist das so? In der noch relativ kurzen Geschichte der Erforschung von Männern und ihrem Einfluss auf die Geburtenrate ist es noch nicht gelungen, "die" Erklärung zu finden. Nahe liegend ist die Begründung, dass Männer einfach mehr Zeit zum Kinderkriegen haben: "Die biologische Uhr tickt nicht wie für Frauen, Männer können es sich leisten, Kinder immer weiter hinauszuschieben".
In Zeiten immer besserer Planbarkeit dank hoch entwickelter Verhütungsmethoden kann der Mann bei der Familienplanung auf Sicherheit setzen. Während die Wirtschaft immer mehr Flexibilität und Mobilität verlangt, sind für Männer ein sicherer Stand im Beruf und eine stabile Partnerschaft immer wichtigere Voraussetzungen, sich für ein Kind zu entscheiden.
Sicherheit spielt nicht zuletzt auch deshalb eine so große Rolle, weil Trennung oder Scheidung - insbesondere wenn Nachwuchs da ist - heute mit enormen Kosten verbunden ist. Männer tendieren also immer eher dazu, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten und schieben das Kinderkriegen weiter und weiter hinaus.
Die Daten, die Ostner auswertet, zeigen, dass jede Generation von Männern einen niedrigeren Kinderwunsch hegt. Verantwortlich dafür ist wohl eine Art Gewöhnungseffekt: Junge Leute wachsen selbst in Familien mit immer weniger Geschwistern auf, die Zwei-Kind-Familie hört allmählich auf, Leitbild zu sein.
Und, man höre und staune: Auch für Männer ist die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Problem. "Solange es sich nicht durchsetzt, dass Männer Erziehungsurlaub nehmen, sind die Risiken für die wenigen Männer, die Erziehungsurlaub nehmen, höher."
Ostners statistische Untersuchung zeigt, dass fast die Hälfte von Deutschlands Männern der Aussage beipflichtet, dass es "wegen der zeitlichen Belastung durch die Erwerbsarbeit" schwierig sei, den Familienpflichten nachzukommen. Und das trifft besonders auf die Männer zu, die "aktive Väter" sein wollen und sich nicht mehr nur als den Ernährer der Familie sehen.

Was soll ein Vater leisten?

Dabei fällt gerade die Frage der Selbstdefinition vielen Männern schwer. Es herrscht große Unsicherheit darüber, was Vater-Sein heute bedeutet. Das klassische Ernährermodell wird immer mehr in Frage gestellt. Wo früher klar war, wer das Geld verdient und wer sich um Haushalt und Kinder kümmert, fragen sich Männer heute, welche Rolle sie im Zwei-Verdiener-Modell spielen sollen.
"Die Sozialwissenschaft entdeckt die Männer" sagt Ostner und weiß, dass noch viel Entdeckungsarbeit zu leisten ist. Viele Fragen sind noch offen und durch die statistische Untersuchung von Prof. Ostner und ihren Kollegen haben sich noch mehr aufgetan. Es zeigt sich jedenfalls deutlich, dass institutionelle Hilfe für Frauen alleine nicht ausreicht: "Institutionelle Hürden für Frauen können nicht der einzige Grund für den Rückgang der Geburten in Deutschland sein." Noch ist nicht geklärt, worin genau die Rolle der Männer besteht und vor allem, wie eine männerorientierte Familienpolitik auszusehen hätte.

Und die Partnerschaft?

Sich mit Vätern zu befassen lohnt sich allerdings nicht nur wegen deren direktem Einfluss auf die Geburtenrate. Männer beeinflussen selbstverständlich auch die Lebenspläne von Frauen und sind ein wesentlicher Faktor der Vereinbarkeit von Karriere und Kind bei Müttern. Mit der Rolle von Vätern in Paarbeziehungen beschäftigt sich der Gießener Soziologe Dr. Michael Mäuser. Auch der Mitarbeiter des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung stellt fest, dass die Männerforschung zur Zeit noch wesentlich mehr Fragen als Antworten zu bieten hat. Mäuser stellt fest, dass die Wissenschaft in der Auseinandersetzung mit dem neuen Verständnis von Vaterschaft den Medien hinterherhinkt: "Vaterschaftsbücher sind im Kommen, und in Männermagazinen wie ‚Men's Health' oder ‚GQ' wird immer wieder, wenn auch verhalten, thematisiert, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch eine Sache der Männer ist".
"Vaterschaft wird vom Sozialen Status zur Sozialen Praxis", das beobachtet Mäuser, der sich besonders mit dem Phänomen der "Dual Career Couples" beschäftigt: Paaren, bei denen beide Partner gleichberechtigt ihre jeweiligen Karrieren verfolgen und dabei Kinder großziehen - eigentlich die die Idealvorstellung von moderner Familie.
Bei gleichrangigen Karrieren und derart egalitärem Selbstverständnis wäre anzunehmen, dass bei diesen Vorreitern der Gleichberechtigung auch die Vereinbarkeit vom Familie und Beruf beide in gleichem Maße beschäftigt. "Tatsächlich liegt aber auch hier das Vereinbarkeitsmanagement bei den Frauen, die sich selbstverständlich dafür verantwortlich fühlen", so beschreibt Mäuser das ernüchternde Ergebnis mehrerer Studien.

Und bis heute wird das auch von den Arbeitgebern so erwartet: Frauen werden gefragt, wie sie Beruf und Karriere vereinbaren wollen; immer öfter sind Firmen auch aufgeschlossen, Frauen darin zu unterstützen. Männern werden solche Fragen gar nicht erst gestellt.
Mäuser beobachtet, dass sich junge Männer durchaus aufgeschlossen zeigen, eine Vaterrolle jenseits der traditionellen Muster zu übernehmen. In der Praxis reißen dann aber doch immer wieder die alten Gewohnheiten ein, die Realität bleibt hinter dem Anspruch zurück. Warum sich die Herren der Schöpfung derart inkonsequent verhalten, darauf weiß auch der Soziologe keine abschließende Antwort.
Mäuser sieht allerdings Hinweise darauf, dass Frauen den Männern eine bedeutendere Rolle in der Familie schlicht nicht zutrauen. "Männer hätten mehr Vertrauen nötig, aber die Frauen tun sich offensichtlich schwer damit, Macht und Handlungsraum abzugeben". Die Intention zum gleichberechtigten Aufteilen der Familienaufgaben sei zwar da, scheitere aber an den lange angewöhnten und tradierten Rollenmustern.
Studien zeigen sogar, dass bis heute beruflicher Erfolg bei Frauen zu Konflikten mit ihrem Partner führt! Und noch ein Unterschied wurde festgestellt: Den Beruf sehen Frauen eher als Form der Selbstverwirklichung und weniger als handfesten Beitrag zur Finanzierung der Familie. Bei Männern ist es umgekehrt.
Eine interessante Konstellation ergibt sich, wenn das Rollenverhalten durch Zwang von außen aufgebrochen wird: Der Mann kann, etwa durch Arbeitslosigkeit, seine Rolle als Versorger der Familie schlicht nicht mehr wahrnehmen, und die Frau übernimmt damit die Rolle der Ernährerin. In den häufigsten Fällen gelingt es den Männern nicht, mit der neuen Rolle klar zu kommen, eine tiefe Verunsicherung der Geschlechteridentität ist die Folge. Mäuser stellt fest: "So gesehen ist die zunehmende Enge auf dem Arbeitsmarkt eine größere Herausforderung für die tradierte Männerrolle, als es die Forderungen der Frauenbewegung je hätten sein können."

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