Wie aus Harry Heinrich wurde

Von Sabine Langer

Er sah sich als Revolutionär und "größten Lyriker aller Zeiten". Und seine Zeitgenossen stimmten ihm darin zu. Dann geriet er in seiner geliebten Heimat fast in Vergessenheit. Doch in diesem Jahr, da sich zum 150. Mal sein Todestag jährt, gibt es viele Gelegenheiten, den Dichter wiederzuentdecken: Heinrich Heine.

Als vor 50 Jahren süddeutsche Schüler nach Heinrich Heine gefragt wurden, kannten nur wenige den Dichter. Dabei hatte Heine großen Einfluss auf seine Epoche genommen und Zeitgenossen wie Friedrich Nietzsche und den französischen Schriftsteller Théophile Gautier derart beeindruckte, dass man ihn auf eine Stufe mit Goethe und Schiller stellte.
Sein Gedichtband "Buch der Lieder" stand Mitte des 19.Jahrhunderts im Bücherregal jedes bürgerlichen Hauses. Und noch heute sind die ersten Zeilen der "Loreley" vielen geläufig:

"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten
Das kommt mir nicht aus dem Sinn."

Ebenso bekannt ist sein Werk "Deutschland. Ein Wintermärchen.", in dem sein Heimweh und Kritik am verlassenen Vaterland zum Ausdruck kommen.
Wer war dieses Multitalent und warum wurde er schon zu Lebzeiten so berühmt? Mit diesen Fragen beschäftigen sich anlässlich des Jubiläums mehr Autoren denn je. Ja, es gibt sogar Kochbücher mit Heines Lieblingsgerichten zu kaufen.
Der Romantiker, der auch als Überwinder der Romantik gilt, wurde als getaufter Jude im Zeitalter Napoleons wegen seiner politischen Ansichten angefeindet. Er verließ Deutschland; sympathisierte mit Karl Marx; kritisierte Musiker, obwohl er kein fundiertes Wissen über Musik besaß, und war bekannt für seine Ironie und seinen Sarkasmus.
Heine sah sich selbst als Revolutionär und "größten Lyriker aller Zeiten", worin Nietzsche ihm zustimmte. Gleichzeitig distanzierte er sich von der Sentimentalität seiner Liebesgedichte, obwohl er ständig unglücklich verliebt war und sogar nach diesem Zustand strebte, teilweise nur um darüber schreiben zu können.
Heine unterhielt auch während seiner Ehe Briefkontakt und Freundschaften zu gelehrten Frauen, obwohl er Frauen generell geistige Fähigkeiten absprach: "Im Allgemeinen ist Denken nicht der Frauen Sache." Und: "Ich bin freylich nicht einverstanden mit dem Weiber-Emanzipations-Enthusiasmus." Eine kluge Frau wie George Sand jedoch fürchtete er als Konkurrentin, Rahel Varnhagen, in deren literarischem Salon in Berlin er verkehrte, schätzte er als Gönnerin.
Seine Ehefrau, Créscence Eugénie Mirat, der er den Namen Mathilde gab, war eine ehemalige Schuhverkäuferin. Sie konnte ihm in intellektueller Hinsicht nicht das Wasser reichen. "Es ist als Hauptvorzug an Mathilde zu rühmen", pflegte Heine zu erklären, "daß sie von der deutschen Literatur nicht das Geringste weiß, und von mir und meinen Freunden und Feinden kein Wort gelesen hat". Mathilde wiederum: "Die Leute sagen, daß Heinrich ein sehr geistreicher Mann sei und schöne Bücher geschrieben haben soll, ich merke aber nichts davon und muß mich begnügen, es auf's Wort zu glauben."
Ihr Temperament und ihre Leibesfülle aber liebte der Dichter. "Dicke Weiber und Dampfnudeln" mochte er am liebsten, wie Jan-Christoph Hauschild in seinem Buch "Essen und Trinken mit Heinrich Heine" berichtet. Jedoch war Mathilde selbst ihm ein wenig zu rund um die Mitte - das "süße, dicke Kind" wog mit 35 Jahren 90 Kilo. Immerhin überlebte sie ihn um fast drei Jahrzehnte und starb wie Heinrich an einem 17. Februar.
Sie duldete auch die letzte, unerfüllte Liebe ihres Gatten. Diese galt Elise Krinitz, genannt „Mouche“, einer jungen, in Paris lebenden Deutschen, die zugleich die Geliebte seines Vorlesers und Schriftstellerfreundes Alfred Meissner war. Ihr galten Heines letzte poetische Ergüsse, gleichzeitig musste sie sich Zeilen wie diese gefallen lassen: "Du bist nicht so dumm, wie Du aussiehst; zierlich bist Du über alle Maßen, und daran erfreut sich mein Sinn."
Heine kam am 13. Dezember1797 als ältestes Kind eines jüdischen Kaufmanns in Düsseldorf. Er wurde in einer katholischen Schule erzogen. Sein ursprünglicher Vorname war "Harry". Der Vater hatte den Namen ausgesucht, weil ein befreundeter Tuchhändler den Namen Harry führte.
Doch Harrys Mitschüler hänselten ihn, weil ein örtlicher Lumpensammler, der "Dreckmichel", seinen Esel mit dem Ruf "Haarüh!" anzutreiben pflegte. "Wenn nur irgend von einem Esel die Rede war, schielte man nach mir", berichtet Heine in seinen Memoiren, "der eine frug den anderen: 'Wie unterscheidet sich das Zebra von dem Esel des Barlaam, Sohn Boers?' Die Antwort lautete: 'Der eine spricht zebräisch und der andere sprach hebräisch.'"
Als Heine sich 1825 im Alter von 27 Jahren evangelisch-lutherisch taufen lässt – die Taufe bezeichnet er als "Entréebillet zur europäischen Kultur" – ändert er auch seinen verhassten Vornamen: aus Harry wird Christian Johann Heinrich. Unter letzterem ist er bis heute unvergessen.
Auf die Schulzeit folgen eine kaufmännische Lehre und die Mitarbeit in der Bank seines Onkels in Hamburg. An der Universität Bonn hört Heine ab 1819 nicht nur Juravorlesungen, sondern auch deutsche Geschichte und Literatur. Schon in Hamburg hat er erste Gedichte unter einem Pseudonym veröffentlicht. Er lernt den Philosophen Friedrich Schlegel kennen und arbeitet an seinem ersten Drama.
Das nachfolgende Studium in Göttingen, wo er Bekanntschaft mit Johann Gottfried Herder macht und sich eingehender mit Shakespeare befasst, muss er wegen einer Duellforderung abbrechen. Schon zuvor war er dort angeeckt; seine Burschenschaft schloss ihn wegen eines Verstoßes gegen das Keuschheitsgesetz aus.
Erst in Berlin fasst er wieder Fuß und bekommt Zugang zu einem literarischen Salon. Seine ersten Bücher werden veröffentlicht: "Gedichte" und "Tragödien nebst einem literarischen Intermezzo". Und er lernt berühmte Kollegen kennen: Chamisso, Fouqué, Grabbe, E.T.A. Hoffmann.
1824 entsteht "Die Harzreise", nachdem sich Heine erneut in Göttingen immatrikuliert und eine Wanderung durch den Harz unternommen hat. Ein Jahr später lässt er sich taufen und promoviert in Jura. Nachdem er zurück zu seinen Eltern nach Lüneburg gezogen ist, lernt er seinen Verleger Julius Campe kennen. Nach einer fünfmonatigen Englandreise erscheint im Oktober 1827 der Gedichtband "Das Buch der Lieder". Es wird ein großer Erfolg.

Heine – zum Lesen und Genießen

Aus der Flut der Neuerscheinungen über Heinrich Heine seien zwei Bücher herausgegriffen:

Edda Ziegler: "Heinrich Heine. Der Dichter und die Frauen", Artemis und Winkler Verlag, Düsseldorf und Zürich, 2005, 205 Seiten, 19,90 Euro

"Essen und Trinken mit Heinrich Heine" (Hg.: Jan-Christoph Hauschild), mit neun Heinrich-Heine-Creationen von Maître Jean-Claude Bourgueil; Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2005, 144 Seiten; 15,00 Euro

Heinrich Heine zieht nun nach München, unternimmt eine Italienreise und pendelt nach dem Tod des Vaters im Dezember 1828 zwischen Hamburg und Berlin, bevor er 1831 nach Paris zieht, wo er bis an sein Lebensende bleiben wird. Anfeindungen wegen seiner politischen Ansichten und zunehmende Probleme mit der Zensur haben ihn aus Deutschland vertrieben.
Denn Heine kämpft überzeugt ein Leben lang für Demokratie und Menschenrechte. Zu seiner Zeit ist Deutschland ein Flickenteppich aus Kleinstaaten und dem Volk geht es schlecht. Der Dichter fordert Gleichbehandlung der Stände und Toleranz. In seinem Eifer greift er nicht nur den Adel, sondern auch die Kirche und das von ihr vermittelte Bild Gottes an. Es wird zu eng und zu gefährlich für ihn in Deutschland. Da er als in Düsseldorf-Geborener auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, kann er problemlos nach Paris übersiedeln.
Heines Jahre in Paris sind geprägt von der Arbeit als Korrespondent für Zeitungen und Journale und seinen Kontakten zu Schriftstellergrößen wie Dumas, Balzac und George Sand, mit der er sich anfreundet. In der Stadt der Liebe lernt er auch seine spätere Frau Mathilde kennen.
Im Januar 1835 werden mehrere Schriften des Literaturkreises „Junges Deutschland“ vom deutschen Bundestag verboten, auch Heines Bücher fallen darunter. Jedoch veröffentlicht er weiterhin und heiratet im August 1841; die Ehe bleibt kinderlos. Die Deutschlandbesuche in den Jahren 1843 und 1844 werden seine letzten sein. Danach erscheint das satirische Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen." – eine bittere Abrechnung mit Staat, Kirche und Gesellschaft seines Vaterlands.
Das Jahr 1848 ist für Frankreich ein einschneidendes Jahr – Paris erlebt die Februarrevolution. Für Heine bedeutet das Jahr den Beginn einer langen Leidenszeit: Seine Rückenmarksschwindsucht verschlimmert sich dramatisch. Die acht Jahre bis zu seinem Tod wird er im Bett, seiner "Matratzengruft", verbringen.
Die Grundlage für seinen Ruhm in Frankreich wird durch die französische Ausgabe der "Lutetia" gelegt. Nach der freundschaftlichen Verbindung zu „Mouche“, seiner letzten Liebe, stirbt Heine am 17. Februar 1856 in Paris, wo er auf dem Friedhof Montmartre beerdigt wird.
Heine hat einmal geschrieben: "Ich habe nie großen Wert gelegt auf Dichter-Ruhm und ob man meine Lieder preist oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit."

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