Das FRAU weiß-Interview (1):

Ist der Feminismus out, Frau Gildemeister?

Von Iris Krumpe

Oftmals totgesagt und trotzdem immer noch ein Aufreger: Der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau, sprich: der Feminismus. Für die einen ist er nicht mehr nötig, weil alles erreicht ist. Die anderen finden, dass wir erst am Anfang stehen. Iris Krumpe sprach mit Prof. Regine Gildemeister aus Tübingen, die als Pionierin der Geschlechterforschung in der Soziologie gilt.

Neulich in einer geselligen Runde mit Freunden. Die Stimmung war entspannt, bis das Gespräch auf das Thema Feminismus kam. Auf meine Anmerkung, dass Frauen noch immer benachteiligt sind, herrschte zunächst betretenes Schweigen. Dann wurde ich entsetzt gefragt: "Bist Du etwa so ´ne Emanze?" Es entbrannte eine heftige Diskussion über den Stand der Frauen in unserer Gesellschaft.
Gesetzlich verankert ist die Gleichberechtigung schließlich schon lange und immer mehr Frauen befinden sich in gehobenen Positionen. Ist der Feminismus nun, da die erste Kanzlerin Deutschland regiert, endgültig überflüssig geworden?
Stand FRAU weiß Rede und Antwort: Regine Gildemeister

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Den Begriff "Feminismus" in den Mund zu nehmen, ist heutzutage regelrecht verpönt. Feministinnen, darunter stellt man sich BH-verbrennende Frauen mit Achselbehaarung vor oder gar verbitterte Männerhasserinnen. In einer Frau wie Alice Schwarzer scheinen manche Leute eine Art Anti-Figur zu sehen, es werden gar Stimmen nach einer "Re-EMMAnzipierung" laut. Was genau aber macht den Feminismus aus? Es lohnt sich, nach einer Definition zu suchen.
Laut Duden handelt es sich beim Feminismus um eine "Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der patriarchalischen Kultur anstrebt". Bei einer genaueren Recherche zeigt sich, dass es "den Feminismus" schlechthin nicht gibt – es existieren ebenso viele Definitionen wie Meinungen darüber. Von einem Radikalfeminismus, der von einer unbedingten Gleichheit der Geschlechter ausgeht, über die Matriarchatsforscherinnen bis hin zum marxistischen Feminismus gibt es zahlreiche unterschiedliche Strömungen. Auch in der soziologischen Geschlechterforschung gibt es viele ungleiche Ansätze.
Besonders interessant ist der Ansatz von Regine Gildemeister, Professorin für die Soziologie der Geschlechterverhältnisse am Institut für Soziologie an der Universität Tübingen. Sie bewirkte mit ihren Arbeiten über die soziale Konstruktion von Geschlecht einen Paradigmenwechsel in der Geschlechterforschung.
Seit mehreren Jahrzehnten wird zwischen "sex" und "gender" unterschieden. Während es sich bei "sex" um den biologischen Status eines Individuums handelt, ist "gender" der während der Sozialisation erworbene soziale Status, der zur Ausbildung einer Geschlechtscharakters führt. Die Menschen verhalten sich nach den gesellschaftlich vorgegebenen Klischees und erfüllen ihre geschlechtsspezifischen Rollen. Diesen entspricht auch die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern. So wundert es nicht, dass sich in den sozialen und Pflegeberufen hauptsächlich Frauen finden lassen – sie gelten als aufopferungsvoll, aufmerksam und kompetent im Umgang mit Menschen. Den weiblichen Sozialcharakter, wie wir ihn zu kennen glauben, gibt es demnach nicht von Natur aus – er wird Mädchen und jungen Frauen regelrecht anerzogen.
Gildemeister geht jedoch noch einen Schritt weiter. In ihrem gemeinsam mit Angelika Wetterer verfassten Aufsatz "Wie Geschlechter gemacht werden – Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung" zeigt sie, wie Geschlecht rein sozial konstruiert wird – von Individuen ebenso wie von gesellschaftlichen Institutionen. Sie prangert die Annahme an, dass Frauen und Männer in jeder Hinsicht unterschiedlich sein müssen und stellt die Zweigeschlechtlichkeit, die in unserer Gesellschaft als selbstverständlich gilt, in Frage.
Was denkt Regine Gildemeister über Feminismus, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft und im deutschen Hochschulsystem?

FRAU weiß: Über den Begriff "Feminismus" gibt es viele Kontroversen. Wie ist Ihre Definition von Feminismus?

Regine Gildemeister: Ich habe keine Definition von Feminismus! Die konsenshaltigste ist vielleicht die, dass es sich dabei um eine Form der Parteilichkeit handelt. Aber was das bedeutet, wird sehr unterschiedlich ausgelegt. Es gibt nicht den Feminismus und was noch wichtiger ist: es hat ihn nie gegeben, nicht bei den Suffragetten und auch nicht in den großen Frauenbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von der sog. neuen Frauenbewegung ganz zu schweigen. Es gab immer sehr große Unterschiede zwischen einem eher liberalen, gleichheitsorientierten und einem sog. differenz-orientierten Feminismus. Ihnen liegen verschiedene Systematiken, verschiedene Analysen zugrunde.

Würden Sie sich denn selbst als Feministin bezeichnen?

Das kommt immer auf den Zusammenhang an. Nein, nicht generell. Grundsätzlich bin ich als Wissenschaftlerin gegen jede Art von –ismen. Wenn Sie mich aber privat fragen, bin ich in einigen Bereichen durchaus feministisch gesinnt.

Wie sind Sie denn eigentlich zur Geschlechterforschung gekommen?

Wie die Jungfrau zum Kind! Es ist ein Thema, dem Sie gar nicht ausweichen konnten, wenn Sie Soziologie studiert haben. Während meines Studiums gehörte ich einer selbst organisierten Studiengruppe an, die die Emanzipation in politischen Programmen zum Thema hatte. Das war Anfang der 70er Jahre. Es war aber nie mein wichtigstes Studiengebiet, sondern ist immer "mitgelaufen". Meine Qualifikationsarbeiten habe ich über Sozialisation, soziale Berufe, psycho-soziale Versorgung etc geschrieben. Parallel lief aber immer das Thema Geschlechterforschung mit, in Lehrveranstaltungen, Tagungen etc. Habilitiert habe ich im Bereich Gesundheit/Krankheit.

Wie kam es zu dem Sinneswandel?

In den 80er Jahren habe ich angefangen, mich gewaltig über die Frauenforschung zu ärgern. Immer wieder wurde die sog. "Besonderung" der Frau reproduziert, die klassischen Unterstellungen hervorgehoben: Frauen sind, Frauen machen, Frauen tun… Meinen Habilitationsvortrag habe ich dann über die geschlechtsspezifische Sozialisation gehalten. Das Thema war damals, 1987, sehr en vogue. In diesem Vortrag habe ich problematisiert, dass der eigentlich schon zu Grabe getragene "weibliche Sozialcharakter" erneut gefeiert wurde. Er kam damals sehr gut an und es war ja schließlich noch eine Ausnahme, dass eine Frau habilitiert. Ich wurde regelrecht dazu gedrängt, einen Aufsatz zu diesem Thema zu schreiben, der dann in einer der wichtigen Fachzeitschriften erschien. Anschließend habe ich weitere Aufsätze zu diesem Thema geschrieben und bin sehr oft zu Vorträgen eingeladen worden. Es war ja auch ein Thema, das mich interessiert hat, aber es stand bis zu diesem Zeitpunkt nicht im Zentrum meiner Arbeit. Dann habe ich mit Angelika Wetterer den Aufsatz "Wie Geschlechter gemacht werden" geschrieben, von dem man sagt, er habe in Deutschland eine paradigmatische Wende mit ausgelöst. Nachdem ich fünf Jahre in Kassel Professorin für soziale Therapie war, kam ich nach Tübingen. Und nun bin ich seit zehn Jahren hier!

Die Frauenbewegung der 70er Jahre scheint erlahmt zu sein, es gibt kaum noch Demonstrationen und Aktionen. Ist Feminismus überhaupt noch notwendig?

Wie gesagt, der Begriff "Feminismus" ist nicht fest umrissen. Aber die Gleichstellung ist noch in keiner Weise erreicht. Dazu braucht man nur einen Blick in die Zeitschriften zu werfen, gerade auch in Frauenzeitschriften. Man hat es landauf und landab nach wie vor mit massiven Vorurteilen und Stereotypen zu tun. Aber es ist auch zu einfach, die fehlende Gleichstellung auf Diskriminierungserfahrungen zurück zu führen. Es handelt sich um sehr komplizierte Zusammenhänge. Gegen was wollen Sie im Moment auf die Strasse gehen? Dass der Protestschwung verloren gegangen ist, dass es keine Massenbewegung mehr ist, hat nichts damit zu tun, dass die Frauen nicht ziemlich gut wissen, dass sie nicht die gleichen Chancen haben in verschiedenen Bereichen. Die Frage ist also, was nimmt man hin? Soll man dagegen auf die Strasse gehen, dass das obere Drittel der Chefetagen weitestgehend frauenfrei ist?

Sie gehen also nicht davon aus, dass sich die Stellung der Frau in den letzten 20 Jahren wesentlich verbessert hat?

Oh doch, es hat sich vieles verändert. Mein Leben, so wie ich es führe, wäre vor 50 Jahren undenkbar gewesen. Mittlerweile ist es jedoch ziemlich normal. Es hat sich in gewisser Hinsicht geradezu dramatisch viel verändert, aber es ist nicht so, dass der Prozess zu einem Abschluss gekommen ist. Ich denke, wir werden die nächsten 425 Jahre daran arbeiten müssen, denn es handelt sich um tief sitzende Strukturen. Und es hat nicht mit den biologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu tun, sondern mit Unterschieden, die wir gesellschaftlich konstruieren. Auf dieser sozialen Differenzierung beruhen grundlegende Strukturen, was es seht schwer macht, die bestehenden Verhältnisse zu ändern.

Laut einer Studie sind in Deutschland nur knapp 12 Prozent der Professoren weiblich.

Das ist aber hoch gegriffen!

Denken Sie, dass Deutschland ein besonders konservatives Land ist, vor allem im Vergleich zu den skandinavischen Ländern?

Die skandinavischen Länder sind in dieser Hinsicht ohnehin besser aufgestellt. Bei den Gleichstellungsbemühungen ist einfach mehr passiert. Auch im sog. "privaten Bereich", aber man muss auch sehen, dass man in Skandinavien auf den doppelten Verdienst angewiesen ist. Natürlich kann man sagen: Aber in anderen Ländern gibt es doch auch in der Mathematik Professorinnen. Man muss aber immer hinterfragen: Was bedeutet das? Wie hoch in der Prestige- und damit in der Einkommensskala sind Professoren angesiedelt? Dort, wo sie ziemlich niedrig angesiedelt sind, dort gibt es auch viele Frauen. Es kommt darauf an, ob es ein umkämpfter Markt ist oder nicht. Ist er umkämpft, wird er zu einem Großteil männerdominiert sein. Ist er nicht umkämpft, und handelt es sich dabei eher um Ehrentitel, gibt es viele Frauen. In vielen Entwicklungsländern (einen Begriff, den ich eigentlich nicht mag), finden Sie in vielen Bereichen Professorinnen, aber die werden nur minimal bezahlt. Die Figur des deutschen Professors hingegen war mit viel Prestige verbunden und der Aufstieg umkämpft.

Die Universitäten müssen also allgemein einen Prestigeverlust hinnehmen?

Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Hochschulen sich für Frauen öffnen – weil sie sehr unattraktiv werden. Die Universitäten verlieren an Gewicht, und damit verliert auch der Professorenstatus an Gewicht. Das ist im Zusammenhang mit der neuen Besoldung zu sehen und mit der Umstrukturierung der Studiengänge. Sie verliert ihren herausgehobenen Charakter und wird zu einer "normalen" Institution. Der ganze Kampf um Elite-Universitäten geht ja auch darum , den klassischen herausgehobenen Status beizubehalten. Es wird eine ganze Reihe von nicht-professoralen Lehrkräften geben und das werden in vielen Bereichen überwiegend Frauen sein. Damit ist aber nicht unbedingt die Gleichstellung gegeben.

Die Geburtenrate in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Liegt es daran, dass die Mutterrolle vielen Frauen nicht mehr attraktiv erscheint? Ich denke dabei vor allem an Akademikerinnen.

Es gibt einfach keinen "richtigen" Zeitpunkt mehr. Mutterrolle ist sowieso ein unpassender Begriff. Es ist ja keine Rolle, sondern umfasst das ganze Leben. Ich glaube eher, viele Frauen würden gerne Kinder bekommen, aber sie wissen nicht, wann.. Wenn man sich die Befragungen dazu anguckt, ist eine wichtige Antwort: Es fehlt der richtige Partner! Und insofern ist die Geburtenfrage in ganz starkem Maße eine Männerfrage und eher sekundär eine Frauenfrage. Man muss sehen, dass laut einer Umfrage sehr viele Männer zwischen 20 und 40 Jahren gar keine Kinder haben wollen. Sie verschieben ihren Kinderwunsch. Die jungen, hoch qualifizierten Frauen stehen zwischen 20 und 40 in der "Rush Hour" ihres Lebens: In dieser Zeit wird Karriere gemacht. Und wenn sie da keinen verlässlichen Partner haben, ist es einfach schwierig mit einem Kind. Viele Frauen würden also gerne Kinder haben, schieben es aber immer weiter nach hinten.

Bei allem Kampf um Frauenrechte: Gibt es auch Situationen, in denen die Position der Männer gestärkt werden muss, zum Beispiel beim Sorgerecht?

Was heißt stärken? Wenn es darauf hinausläuft, dass Männer von Unterhaltszahlungen befreit werden, dann bin ich nicht der Meinung. Aber natürlich bin ich für geteiltes Sorgerecht. Überhaupt muss man Männern viel mehr Chancen geben, sich familiär zu engagieren.

Wie sehen Sie eigentlich den Stand der Geschlechterforschung innerhalb der Soziologie?

Die Geschlechterforschung ist weitestgehend akzeptiert als Bindestrich-Soziologie. Sie hat Mittel, Forschungsschwerpunktprogramme, ihr ist ein Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie gewidmet. Als Bindestrich-Soziologie hat sie keine Rechtfertigungsprobleme mehr. Es wird dann schwierig, wenn man sagt, die Kategorie "Geschlecht" gehört nicht einfach in eine Spezial-Soziologie, sondern gehört in den Kern der allgemeinen Soziologie, da es eine grundlegende soziale Differenzierung ist, in gewissem Sinne ein Modellfall sozialer Differenzierung. Da gehen dann die Auffassungen durchaus auseinander.

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