Familienplanung - eine Stilfrage?

Von Astrid Müller

Das Problem ist in aller Munde: Deutschland braucht mehr Kinder. Dabei entpuppen sich vor allem die Akademikerinnen als immer gebärunwilliger. Nun wurde das Problem analysiert und interpretiert, mit dem Ergebnis: Der deutschen Nachwuchsplanung fehlt es an "Style".

Knapp 25 Prozent der Akademikerinnen bleiben dauerhaft kinderlos, so die Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dabei ist Familiengründung und Elternschaft für Studentinnen eigentlich ein wichtiges Ziel: Laut einer Studie des Hochschul-Informations-Systems geben nur 7 Prozent der im Durchschnitt 25jährigen Studierenden explizit an, keinen Kinderwunsch zu hegen.

Aber warum setzen Studentinnen den Baby-Plan nicht in die Tat um?

Ein wichtiger Grund: Die traditionelle Reihenfolge - erst Ausbildung und Berufseinstieg, dann finanzielle Sicherheit schaffen und dann Kinderkriegen - bewährt sich nicht mehr. Studierende haben heutzutage ihren berufsqualifizierenden Abschluss im Schnitt erst relativ spät, mit 28 Jahren, in der Tasche. Und diesen Punkt zu erreichen, also das Examen mit Erfolg abzuschließen, ist für viele Frauen ein selbstverständliches Lebensziel geworden. Gleichzeitig gibt es nach wie vor die "künstliche Schreckensschwelle 35", wie Diplomsoziologin Kathrin Dressel vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sie nennt. "Danach sprechen Mediziner automatisch von Spätgebärenden und Risikoschwangerschaften."

Wann ist noch Zeit zum Kinderkriegen?

Aufgaben wie Berufskarriere, Schaffung finanzieller Unabhängigkeit und Familiengründung begrenzen sich also auf ein immer enger werdendes Zeitfenster. Dressel spricht hier von der "Rushhour in der Mitte des Lebens". Da der Berufseinstieg spätestens mit 30 Jahren erfolgt sein sollte, und man ab 40 schon wieder Gefahr läuft, zum alten Eisen zu zählen, wird die Elternschaft von vielen unweigerlich immer weiter hinausgeschoben. Denn die Karriere geht vor! Möchte man als Hochqualifizierte eine Spitzenposition erreichen, nimmt ein Kind einfach zu viel Zeit weg. Frau läuft Gefahr, in dem knallharten Wettbewerb nicht zu bestehen. Das Resultat dieser Zielkonflikte: Nach einer langen Phase des Aufschiebens tritt oft ein Gewöhnungseffekt ein - Frau findet sich mit ihrer Lebensgestaltung ohne Kind ab!

Frau zurück an den Herd?

Hinzu kommt, dass Akademikerinnen unter einer "Re-Traditionalisierung des Frauenbildes" leiden. Der alte Lebensentwurf, nach dem ein Ehepaar aus Alleinverdiener und Hausfrau besteht, ist in Deutschland, im Gegensatz zu einigen seiner Nachbarländer, faktisch immer noch die Norm. Und das, obwohl eigentlich niemand mehr so leben will! Malte Ristau-Winkler, Abteilungsleiter Familie im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erklärt: "Die Mehrheit der jungen Frauen in Deutschland wünscht sich heutzutage eine gute Balance von Familie und Arbeit. Allerdings fühlt sich fast die Hälfte aller jungen Mütter unfreiwillig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen." Überlegt sich Frau also, ob sie es nach dem Studium mit Kind und Karriere versuchen soll, so muss sie damit rechnen, dass ihre Karriere letztlich auf Kind und Küche beschränkt bleibt! "Keine gute Voraussetzung für mehr Kinder", wie Ristau-Winkler treffend feststellt. Und falls es tatsächlich gelingt, Beruf und Nachwuchs parallel zu haben, wird man schnell als Rabenmutter verschrien oder leidet unter dem Druck, das alles als "Super-Mom" souverän alleine meistern zu müssen. Ein Blick in die europäischen Nachbarländer verdeutlicht den Effekt der deutschen Retraditionalisierung: Nordeuropäer betreiben seit langem eine konsequente Gleichstellungspolitik, mit dem Ergebnis, dass beispielsweise in Dänemark in 75 Prozent aller Paarhaushalte beide Partner berufstätig sind und in den Niederlanden ein Viertel der Männer Teilzeit arbeiten. Davon kann Frau in Deutschland nur träumen!

Die bessere Hälfte fehlt?

Last but not least besteht das Problem darin, dass zum Kinderkriegen immer zwei gehören. Und dass die zwei sich nicht immer einig sind. Eine Forsa-Befragung von 2004 zeigt, dass 44 Prozent aller kinderlosen Erwachsenen das Fehlen eines geeigneten Partners als Problem angeben. Dies trifft auf Akademikerinnen in besonderem Maße zu, da diese in der Regel ihren Nachwuchs mit einem Akademiker zeugen wollen und vom Vater ein hohes Maß an Beteiligung in der Familie fordern. Die Akademiker hingegen haben da oft andere Vorstellungen. Sie heiraten auch gern mal eine Frau unter ihrem Bildungsstand, die sich ihrem Leben bereitwillig anpasst.

Wie kann man der Familienplanung ein neues Styling verpassen?

Kathrin Dressel sieht die Lösung des Problems in der Entzerrung von Beruf und Familie durch eine Phasenverschiebung im Lebensverlauf: "Entweder wird die Familiengründung in die Ausbildung vorverlagert. Oder eine späte erste Mutterschaft findet erst nach einer intensiven, kontinuierlichen und damit karrierefördernden Vollzeitbeschäftigung statt."

Mit Kinderwagen an die Uni?

Als junge Mutter tritt man zwar später als die anderen in den Arbeitsmarkt ein, da ein Studium mit Kind verständlicherweise zeitintensiver ist. Dafür hat man aber den Vorteil, bei der beruflichen Qualifikation up-to-date zu sein, da man keine längeren Unterbrechungen nach der Ausbildung in Kauf nehmen muss. Problematisch hierbei ist nach wie vor, dass eine Reihe von Rahmenbedingungen deutlich verbessert werden müssten, damit dieses Lebensmodell funktionert. Das BMFSFJ nennt hier zum einen die Kinderbetreuung: Sie müsste dringend ausgeweitet und kostengünstig angeboten werden. BaföG, Studiendarlehen wie auch Stipendien sollten um eine Kinderkomponente erweitert werden, und die Studiengebühren den jungen Eltern von vornherein erlassen werden. Außerdem müssten die Hochschulen familienfreundlicher werden. Eine Familienbeauftragte an jeder Hochschule einzurichten, wäre ein erster Schritt.

Besser später als nie?

Die Mutterschaft in höherem Alter ist die Alternative. Möglich macht´s einerseits die gestiegene Lebenserwartung: Wenn Frauen länger leben, können sie auch mehr Zeit ihres Lebens dem Beruf widmen. Andererseits hat sich auch die Phase der weiblichen Fruchtbarkeit verlängert. "Mütter ab 35 haben - wenn medizinisch optimal betreut - eine gleich hohe Chance, ein gesundes und normal entwickeltes Kind zur Welt zu bringen wie jüngere Frauen", erklärt Kathrin Dressel. Freilich muss eine späte Mutter, die beruflich kürzer tritt, damit rechnen, dass jüngere Konkurrentinnen oder Konkurrenten an ihr vorbeiziehen könnten. Doch ist nicht zu vergessen, dass Frau hier mit ihrer langjährigen Berufserfahrung punkten kann. Auch ist bei der älteren Mutter absehbar, dass ihre Familienplanung bald abgeschlossen sein wird. Und in ihrer Doppelrolle beweist sie überdies ihr Organisationstalent!

Patchwork als neue Lebensphilosophie?

Ein weiterer Ansatz ist die Idee der Patchwork-Konstruktionen. Ristau-Winkler spricht davon, "die üblichen Verlaufsmuster zu durchbrechen und stattdessen neue Verschränkungen zwischen den verschiedenen Lebensbereichen zu schaffen". Charakteristisch für diese Konstruktionen ist, dass flexibel Pausen für das Kinderkriegen eingelegt werden können. Der Familienpolitiker nennt sie "Optionszeiten" Ein Beispiel hierfür sind die "Sabbaticals" (Freizeiten von mehreren Monaten oder mehr). Voraussetzung dafür sind persönliche Arbeitszeitkonten, mit denen man Urlaub und Überstunden über Jahre hinweg ansparen kann, um sich dann zum Beispiel ein Jahr für die Familienplanung freistellen zu lassen. Auch die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge kommt diesem Modell entgegen. "Die Zweiteilung des Studiums, bei dem ein Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss bereits nach drei bis vier Jahren und ein Master als weiterer berufsqualifizierender Abschluss nach ein bis zwei weiteren Jahren verliehen wird, könnte als Möglichkeit genutzt werden, die Familiengründung zwischen die beiden Studienphasen zu legen", meint Dressel. Doch auch hier sind weitere Maßnahmen nötig, um eine Trendwende einzuleiten, wie zum Beispiel mehr Ganztagsschulen und ein Rückkehrrecht zum Arbeitsplatz nach dem Sabbatical. Ein einkommensabhängiges Elterngeld kann ebenfalls eine entscheidende Veränderung bewirken, was ein Blick zu unseren Nachbarn lehrt: In Finnland, wo dieses gegeben ist, bekommen die Menschen über eine wesentlich längere Zeitspanne Kinder, da die ökonomische Basis durch Einkommenskontinuität gesichert ist.

Werbung für die Familie?

Ein Blick in den Fernseher zeigt, dass der neue Life-style auch öffentlich tüchtig vorgelebt wird. Denn neben all den hier beschriebenen Maßnahmen muss auch die richtige Stimmung herrschen: Kinder brauchen ein positives Image! Und es sieht ganz danach aus, als sei es schon so weit. Susanne Lang von der Tageszeitung hat die Entwicklung beschrieben: "Die neuen Turbomütter von Heidi Klum bis Silvana Koch-Mehrin machen es vor. Mütter sind sexy, Kinder sind cool". Diese Vorzeigemütter würden von den Medien eingesetzt, um im Dienste einer neuen Bevölkerungspolitik die Herzen der Gesellschaft für mehr Kinder zu öffnen, meint Lang. Kinder würden intensiv als begehrenswertes Objekt präsentiert, das nicht nur in ist, sondern auch emotionales Kapital bedeutet. Fast könne man sie als Status-Symbol sehen, mit dem Frau sich von anderen abgrenzen und hervorheben kann. Vor dem Hintergrund, dass viele Akademikerinnen sich für die Karriere und gegen die Familie entscheiden, werde an das romantische Gefühl appelliert. "Der Fokus auf Familienprivatheit bildet eine romantische Gegenstrategie zur kalt-rationalen Logik des globalen Arbeitsmarkts", so Lang. Überzeugt?

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